Warum Bequemlichkeit eine Bevölkerung in den Totalitarismus treibt
Der deutsche Michel trägt eine Schlafmütze. Er ist ein deutsches Charakterbild, eine Nationalfigur. Er ist ein kleiner verschlafener Mann, der harmlos, machtlos und schwächlich wirkt. Symbolisiert dieser Mann den Charakter der Mehrheit der Deutschen?
Gegenwärtig scheint es so. Denn die Mehrheit sitzt zu Hause, wenngleich es eindeutige Kennzeichen des Verlustes von Demokratie und Freiheit gibt, offensichtliche Korruption, offensichtlichen Betrug, Zwang, Bevormundung, Krieg.
Warum empört sich die Mehrheit nicht? Warum stehen die Menschen nicht auf? Geht es Ihnen zu gut? Fehlt ihnen das Wissen? Erkennen sie die Realität nicht? Fehlt ihnen die Motivation? Sind sie von der Angst vor Krankheit, Krieg und Klima gelähmt? Oder sind sie lieber Untertan und Sklave?
Trägheit, Faulheit und Bequemlichkeit sind eine Gefahr für jede Gesellschaft. Denn das Merkmal des Lebens ist die Bewegung, die Veränderung. Steht etwas still, stirbt es. Die Folgen sind Verkümmerung, Abstieg und Tod. Die Natur duldet keine Untätigkeit.
Sitzt der deutsche Michel selbstzufrieden in seinem Bett und wartet, dass es besser wird, wird es mit Sicherheit schlechter. Denn Freiheit, Menschenrechte, humanitäre Werte müssen erkämpft und geschützt werden. Es gibt sie nicht umsonst. Eine Bevölkerung, die faul in Ihrer Wohlstandshängematte liegt, wird diesen Wohlstand verlieren. Die Privilegien einer freien Gesellschaft bleiben nur erhalten, wenn wir sie uns verdienen.
Darauf zu hoffen, dass alles gut ausgehen wird, die Anderen sicher etwas machen werden, dass der Staat für Sicherheit sorgen wird - das ist der Anfang vom Ende jeder Freiheit.
Wenn die Regierung heute milde Gaben beispielsweise in Form von Preisbremsen für Preissteigerungen, die sie selbst verursacht hat, verteilt, und die Menschen diese dankbar annehmen statt sich zu empören, so ist das ein eindeutiges Zeichen des gesellschaftlichen, kulturellen Verfalls. Der Michel gibt seine Verantwortung an den Staat ab und geht ins Bett.
Hermann Broch schrieb: Als Anfangsphase für einen gesellschaftlichen Abstieg in den Totalitarismus hat die Faulheit des Menschen zu gelten, denn sie ist die Hemmung in der möglichen Weiterentwicklung eines Systems und löst den geschichtlichen Verfallsprozess aus. Hinter jeder Faulheit lauert die Gefahr der depressiven Lethargie. Sie führt zum Versagen aller psychischen und physischen Widerstandskraft, und ist bereits Kennzeichen der Endphase des Verfalls. Befinden wir uns bereits in dieser Endphase?
Karl Popper schrieb: „Die politische Freiheit - Freiheit von Despotie - ist der wichtigste aller politischen Werte. Und wir müssen immer bereit sein, für die politische Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit kann immer verloren gehen. Wir dürfen nie die Hände in den Schoß legen im Bewusstsein, dass sie gesichert ist.“
Was hindert uns an diesem Kampf? Sind wir von Natur aus ein ängstliches Volk oder sitzt die Angst der beiden verlorenen Weltkriege noch in den Genen?
Offensichtlich ist gegenwärtig die mediale Propagierung einer negativen, pessimistischen Weltsicht. Kein Tag vergeht, ohne das mediale Schüren von Angst vor sozialem Abstieg, Krankheit, Klima und Krieg. Es wird alles nur schlechter und der Mensch selbst ist schuld und Ursache und damit das Schlechteste überhaupt. Dieses schwarze Zukunftsbild schüchtert uns ein. Für Karl Popper ist die Verbreitung von Lügen über eine angeblich so schlechte Welt das größte Verbrechen unserer Zeit, denn es bedroht die Jugend und versucht, sie ihres Rechtes auf Hoffnung und Optimismus zu berauben.
Zukunftsangst und Einschüchterung führen zur Untätigkeit, zur Duldung von Korruption und Verbrechen, letztendlich zum Krieg, der, das wusste schon Albert Schweitzer, nicht die Ursache einer Krise, sondern nur ein Symptom, eine Erscheinung der Kulturlosigkeit ist.
Gefällt dem deutschen Michel diese Kulturlosigkeit? Lässt er sich gern Angst machen? Labt er sich gar an diesem Gefühl, das ihn betäubt? Lullt er sich ein, zieht sich in sein Zimmerchen zurück und beobachtet das Geschehen? Endlich passiert mal etwas, zwar etwas schlechtes, aber besser als nichts?
Wie kommen wir da wieder raus? Der erste Schritt aus der Bequemlichkeit ist die Überwindung der Angst. Niemand muss vor den angsterzeugenden Kräften aus Medien und Politik Angst haben. Sie sind besiegbar, denn jeder kann sich mutig eine eigene begründete Meinung bilden, statt die von außen kommende anzunehmen.
Angst sollten wir vielmehr vor den Handlungen haben, zu denen uns die Angst treibt. Denn unser Gehirn kann nicht gleichzeitig ängstlich und vernünftig sein. Das hat zur Folge, dass wir die Vernunft und jede Rationalität verlieren und in vollkommen inhumane Wahnzustände abrutschen können, die in den Totalitarismus führen und zahllose Opfer verursachen. Davor müssen wir uns fürchten.
Die Trägheit unseres Denkens gründet außerdem in einer Wertzerissenheit - dem Gefühl, kein erstrebenswertes Ziel, keinen Lebenssinn, keinen Halt, keine Richtung zu haben. Die materialistisch-ökonomischen Werte erscheinen alt. Sie genügen nicht, um dem Weiterleben einen Sinn zu geben. Der technische Fortschritt sprintet zwar unvermindert voran, doch der Geist kommt nicht hinterher.
Es fehlt ein neuer Anstoß, ein überzeugendes und den alten, rein ökonomischen Zielen überlegenes Wertziel, das zu einer positiven Weltanschauung führt. Wir müssen raus aus dem geschlossenen von Ideologismen geprägten System und wieder zur Offenheit finden.
Hören wir in uns hinein. Träumen wir. Wie wollen wir leben? Was ist uns wirklich wichtig? Wie stellen wir uns die Zukunft vor? Träumen ist nicht naiv sondern menschlich. Ohne Träume, ohne die visionären Vorstellungen von der Zukunft, wäre in der Menschheitsgeschichte nicht eine Hochkultur entstanden.
Schaffen wir einen neuen Traum, der uns befreit und motiviert. Einen Traum, in dem das Menschsein und die Erhaltung des Lebens an erster Stelle steht. Einen Traum als Alternative zu unserer monistisch ökonomischen Kultur, die doch eher eine Unkultur ist, weil Menschsein doch soviel mehr bedeutet als das Streben nach Profit.
Kommen wir endlich raus aus der Bequemlichkeit, raus aus der Lethargie, raus aus dem Bild des deutschen Michels als gefügigem, regierungsfrommen Untertan. Wir haben die Verantwortung, unsere Werte zu schützen. Für unsere Kinder und alle nachfolgenden Generationen. Schaffen wir eine Kultur, die auf humanitären Werten, der Menschenwürde und den Menschenrechten gründet und die dem Menschen mit seinen Fähigkeiten tatsächlich gerecht wird.
weiterführende Literatur:
Hermann Broch: „Massenwahntheorie“
Hermann Broch: „ Autobiographie als Arbeitsprogramm“
Karl Popper: „Alles Leben ist Problemlösen"
Albert Schweitzer: „Kultur und Ethik“
Stéphane Hessel: „Empört Euch!“
Tom Reimer: „ Schaffen wir eine Neue Kultur - Weil Menschsein mehr ist als Ökonomie“